Was ist eine Troubairiz

Welch sonderbares Wort – geschrieben wie gesprochen: Trobairiz. Wie ich es in meinem Jahresrückblick 2023  bereits erwähnte, habe ich es  im vergangen Winter selbst zum allerersten Mal gehört. Im Radio, auf meinem Lieblingssender WDR 3. Es war ein Interview mit der Sängerin (oder eben Trobairitz) Maria Jonas..

Bevor ich nun weiter auf die Initial-Zündung, die ich mit Maria Jonas Worten erlebte, eingehe, möchte ich hier eine Kurz-Definition gemäß Wikipedia entlehnen: Die Trobairiz, manchmal auch Trobairitz, waren die Minnesängerinnen, quasi weibliches Pendant zu den Trobadors, im frühen Mittelalter im südlichen Frankreich, im Sprachgebiet des Okzitanischen, das seinen Ursprung im gallischen Umgangs-Latein hat.

Das Wort Trobairiz stammt, genau wie der Trobadur von dem lateinischen Wort „trovare“ ab. Dies bedeutet „finden“. Eine Geschichte, ein Lied „erfinden“ – das ist der Pfad, auf den ich mit diesem Artikel führen möchte.

HINWEIS: Titelbild und Fotos aus einer Reihe mit dem Fotografen Hajo Müller werden in den kommenden Tagen aktualisiert und eingefügt; entstanden in der zauberhaften Werkstatt der Zupfinstrumentenmachermeisters Thorsten Sven Lietz

Vergessene Frauen – die Trobairiz

Troubadours und Trobairiz reisten, ähnlich wie die Minnesänger, durch die Lande. Sie waren nicht nur Übermittler von „Neuigkeiten“, sondern vor allem von Kultur. Sie waren die Popstars ihrer Tage und der jeweilige musikalische und poetische Stil beeinflusste die großen Persönlichkeiten der italienischen Renaissance, wie Dante, den ich hier kühn als „Erfinder“ des Romeo & Julia-Mythos bezeichnen möchte, oder Petrarca, der besonders  für seine Liebeslyrik bekannt wurde. Ja, im Kern dreht es sich um Liebe – allumfassend – immer – damals wie heute!

Die Geschichte war jedoch – wie so oft –  nicht so gnädig mit den Frauen, die sich auf diesen Weg begaben. Nur etwa 20 Namen von weiblichen Troubadours, eben den Trobairitz, sind heute noch bekannt. Sie sind die ersten Komponistinnen westlicher, weltlicher Musik, quasi die ersten weiblichen Singer/Songwriter. Die vielleicht bekannteste ist Beatriz de Dia neben Azalaïs de Porcairagues und Almucs de Castelnou – um nur Drei dieser zauberhaft klingenden Namen zu nennen.

Herkunft und Wirkungskreis

Die mittelalterlichen Spielfrauen waren, ähnlich wie die männlichen Troubadours, überwiegend Adlige aus Südfrankreich, Norditalien und Katalonien. Es waren Frauen, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer hohen sozialen Schicht Zugang zur Kultur hatten und ihre Poesie, ihre Intelligenz und Empfindsamkeit, eben ihre Geschichte in die Welt hinaustrugen. Sicher im Rahmen der damals üblichen Gesellschaftsnorm, aber weit über die religiösen Grenzen hinaus. Ihre Einfluss reichte in nördlicher Richtung bis Italien und Deutschland, südlich betrachtet von Katalonien bis zu den Balearen.

Für die Frauen der damaligen Zeit war es nicht selbstverständlich, die eigenen Sehnsüchte zu offenbaren. Nahezu unerhört, öffentlich die Zuneigung eines geliebten Menschen zu verhandeln oder gar in Selbstbestimmung einzufordern. Aufgrund ihrer ungenierten und unverschämten Anspielung auf das Fleischliche wurden sie gern als (zu) freizügig eingestuft.

Inhalt und Antrieb

Das Wirken der Trobairiz überschreitet  die passive Haltung der Frauen jener Zeit. Es ist die Rede und der Gesang von mutigen Frauen, die in der Liebe die Initiative ergriffen und ihre Wünsche zum Ausdruck brachten. In ihren Kompositionen geht es aber nicht nur um „höfische Liebe“, sondern auch um Themen wie Ehe und Mutterschaft sowie politische und religiöse Themen.

Es  gab in der Geschichte der Frauen im 12. Jahrhundert also dieses kurze Aufflackern der Befreiung. Man bedenke – dies ist auch das Jahrhundert einer Hildegard von Bingen und Eleonore von Aquitanien. Außerdem markiert es den Beginn der Verbreitung der Beginen-Bewegung. Viele dieser Frauen wurden später von den Humanisten der Renaissance und den konservativen Historikern des 19. Jahrhunderts leider wieder in der hintersten Schublade versteckt und ihre nachfolgenden Schwestern im düsteren Kapitel des Mittelalters ohnehin zum Schweigen gebracht.

Trobairiz heute

Ich persönlich meine, eine wahrhafte, allumfassende Renaissance dieses Berufsbildes, dieser Besimmung steht unbedingt an! Und so ist es eine dieser wunderbaren Kohärenzen, dass in den 2020er-Jahren gleich zwei aufrichtige Künstlerinnen diese Nachfolge öffentlich antreten.

Damit komme ich zurück zur eingangs erwähnten Sängerin Maria Jonas. Sie ist eine enorm kreative und vielseitigste Persönlichkeit, die als Interpretin alter und improvisierter Musik zu erleben ist. In dem besagten, ausgesprochen sympathischen Radio-Interview sprach sie davon, stets auf der Suche nach einer lebendigen Auseinandersetzung von jeglicher Art Musik zu sein. So fand sie, nicht nur wegen ihres engen Bezugs zur Alten Musik, den Begriff „Trobairitz“ viel passender, als die übliche Bezeichnung „Sängerin“.

Da hat es bei mir geklingelt! Genau! Neue Wege suchen, Brücken bauen zwischen den verschiedenen Welten, immer schön elastisch die Grenzen ausdehnen. Bei meiner Recherche bin ich dann des Weiteren auf Mara Aranda gestoßen.

Sie feierte im Jahr 2020 ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum mit einem Programm, mit dem sie das Wirken und Schaffen mehrerer Trobairiz interpretiert. Mit diesem Album Troubairitz dokumentiert die spanische Sängerin nicht nur die mittelalterliche Gesellschaft mit ihren gebildeten Frauen, sie trägt deren Linie authentisch – quasi von der Quelle – in die heutige Zeit.

Randnotiz: Verdis Oper „Il Trovatore“

„Randnotiz“ sieht geschrieben ähnlich aus wie „Trobairiz“ – aber das nur am Rande.

Natürlich fiel mir beim Thema Trobairiz/Tobadur sofort Giuseppe Verdis gleichnamige Oper ein. Immer wieder heißt es, das Libretto, also die Geschichte von Verdis Oper „Il Trovatore“ wäre absolut unverständlich. 

Hier sei knapp erwähnt: Oper – die ihren Ursprung etwa 250 Jahre nach der Blütezeit der Trobairiz genommen hat – ist nicht rational. Das gilt im Allgemeinen, aber besonders hier im Speziellen:

Verdis Opern sind immer an einer Art charakteristischer Klangfarbe erkennbar. Im Fall vom „Trovatore“ wäre es das Nachtblau. Das Paradoxe ist, dass diese Geschichte von, im wahrsten Sinne, unfassbarer Dunkelheit, die Musik hingegen von erhebender Strahlkraft durchdrungen ist. Die dramatischen Themen sind (wie so oft) Liebe und Hass und machen die Oper zum grössten Sängerfest, das vielleicht je komponiert worden ist. Jede ihrer vier Hauptrollen ist eine Glanznummer für das jeweilige Stimmfach (zu diesem Thema werde ich nächsten Monat schreiben).

Hier zwei kleine Appetit-Happen: D’amor sull’ali rosee . Ja, ich liebe den warmen Sopran von Anna Netrebko. Für Jonas Kaufmann-Fans folgt hier noch Szene und Arie für Tenor: Ah! Si, ben mio

Ganz ehrlich – diese etwas lang geratene „Randnotiz“ ist meiner unersättlichen Liebe zur Oper zu verdanken. Wie lange suche und finde ich in dieser eigentümlichen Welt schon meine höchsteigenen und unterschiedlichen Inspirationen!

Fazit: Suchende – Findende – Erfindende

Spätestens, wirklich allerspätestens, seit meiner Sommerwanderung franzi geht dann heim ist es klar, dass ich eine Wandernde, eine Suchende, eine Ersuchende, eine Finderin, eine Erfinderin bin.

Es war also diese eine Radio-Sendung, die bei mir und in meinem Verständnis so Einiges ins Rollen gebracht hat. Nicht nur die Tatsache, dass ich durch diese Recherche meinen eigenen Wissenshorizont wieder ein Stück weiten konnte, sondern vor allem, dass ich für mein Tun und meine Ideen eine veritable Umsetzungs-Idee geschenkt bekommen habe: Lasst mich meine Geschichten erzählen, meine Lieder singen – einfach so. Ich brauche keine Band, kein Orchester, kein Ensemble – lass mich einfach erzählen. Mit Ukulele.

Tu, was du willst, so habe ich meine Motto für dieses Jahr genannt, beschrieben und aufgezählt, was ich in näherer Zukunft so alles TUN WILL. Da schrieb ich auch von meinen unfertigen Schuladen-Hüterinnen, wie dem Singspiel An der Bude. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell und wie von Zauberhand. Ich kürze ab: am 17. August 2024 werde ich zum „Tag der Trinkhallen“ bei Kunst Anne Bude in Castrop-Rauxel eine kleine, erst Werkschau feiern, die Geschichte erzählen und ihre Lieder singen – nur ich und meine Ukulele.

NOTA BENE: Das Leben ist schön – ich tue, schreibe, singe und lasse, was ich will.

„Wort & Sang“, diesen Namen habe ich schon vor Jahren meinem kleinen Ein-Frau-Betrieb gegeben. Damals schrieb ich  einen Vortrag über die Steigerung, besser Verdichtung vom Gedicht zum Gesang zum Gebet. Er ist leider in den Tiefen meines Rechners verschwunden. Sollte ich ihn wiederfinden, werde ich ihn hier nachträglich verlinken.

Kernaussage: Die Kraft des Wortes wird mit der Kraft der Musik verstärkt und potenziert durch den Glauben. Egal welcher Religion – Hauptsache die Liebe ist ihr Höchstes Gebot – allumfassend – immer.

Mit diesem „Wort zum Sonntag“ wünsche ich Ihnen ein sonniges und friedliches Wochenende,

Ihre Franziska Dannheim