Meine Stimme – meine Bestimmung – und jetzt?

Frühjahr 2023 – plötzlich wurde es still im Halse Dannheim. Corona – Kehlkopfentzündung – Stimme weg. Wie geht es nun weiter mit der Stimme, mit der Bestimmung? Als Sinnbild für diese Zeit, meine Fragen und diesen Artikel habe ich den Kompass gewählt – siehe Bild weiter unten. In diesem Artikel pendle ich hin und her zwischen persönlich, vielleicht auch privat, lote aus zwischen geschäftlich, retrospektiv bis visionär.

Wohl an – worum geht’s:

Sängerin ohne Stimme – da stimmt etwas nicht

Wie ich es schon im vergangenen Zwischenblick beschrieben habe, hat mich im frühen Frühjahr Corona mit weiteren Infekt-Folgen nachhaltig aus der Bahn geschossen. Stimme weg, zumindest so weit weg, dass an mein geliebtes Format Oper légère nach wie vor nicht zu denken ist. Also was tun?

Es ist wirklich bezeichnend, dass die Blog-Königin Judith Peters just genau jetzt zum wundervoll inspirierenden Abenteuer #BlogYourPurpose aufgerufen hat. Ein Loblied auf die Synchrinizitäten. Also los: welche Bestimmung?

Glücklicherweise bin ich, wie in diesem vergangenen Artikel beschrieben, eine Multidilettantin.

Pinke Collage
Ich liebe diese Collage von Hajo Müller aus dem Jahr 2010 – sie zeigt den kompletten Firlefranz

Ich habe also mehrere Interessen, Gaben, Talente, Geschenke, die ich in meinem bisherigen Leben schon verwirklicht habe. Als da wären: Poetin, Liederfinderin, Model, Tänzerin, Lehrerin, Trauerrednerin und vor allem Mutter. Ich gebe zu, eine bunte Auswahl. Was war zuerst da?

Mein verschollener Kindertraum

Ich kann mich ganz klar an ein von mir gemaltes Kinderbild erinnern, das jahrelang an unserem Kühlschrank hing: Franzi – eine Bäuerin stand da in krakeligen Buchstaben unter einer bekopftuchten und bezopften gestrichelten Kinderfranzi.

Vor Sonnenaufgang im Kuhstall zwischen diesen warmen Fellleibern – wunderbar!

Seither war ich viel und lange im Stall, habe Kühe gemolken, Kälbchen in die Welt begleitet, Mist geschippt und gestreut. Die Liebe zur Natur, zu den Pflanzen, zu den Tieren, zu den Bergen, zu den Wäldern – ja, das war schon immer so. Es gibt da mehrere Familien-Legenden, und diese eine mag ich besonders:

Es war einmal eine kleine Franzi, die wohnte mit ihrer Familie am Rande eines Dorfes im schönen Ammerbuch, letztes Haus des Weges mit dem schönen Namen „Rosengarten“, danach nur Weiden und Wald. So soll es sich einstens zugetragen haben, dass Klein-Franzi im zarten Alter von 2 Jahren, quasi krabbelnd den Garten verließ, um auf der gegenüberliegenden Weide in der riesigen Schafherde zu verschwinden.

Irgendwann entdeckte man das Kind vom Balkon in der 1. Etage aus, doch war ein Zugriff nicht möglich. Die Schafherde wurde von vier Hunden bewacht, die keine Näherung erwachsener Menschen duldete. Klein Franzi als krabbelnde, quasi Vierbeinerin im kindernaiven Schäfchenmodus war wohl unter dem Radar duschgekrabbelt.

So sah er aus, der Blumen-Franz

Es ist nicht überliefert, wie ich dann wieder nach Hause kam, aber ich bin es – offenkundig. Und seither ist es klar und kein Geheimnis: ich rede mit den Blumen und den Bergen, mit den Vögeln und Blindschleichen, manchmal auch mit Wölfen im Schafspelz. Franziska ist mein Name – mein Schutzpatron der Heilige Franz – auch darüber schrieb ich bereits.

Fazit1: Mutter Natur ist meine Heimat, mein Anker, mein Kompass, mein Schutzraum, meine Ernährerin – physisch, wie seelisch.

Rückblickend kann ich sagen, dass der Umzug vom Land in die Stadt sehr prägend – ich möchte fast sagen traumatisierend war – und ich weiß um die derzeitige Überstrapazieren der  Trauma-Thematik. Die Schnelligkeit und der Lärm und Gestank einer Stadt, das gezähmte bis geschunden verdreckte Grün, alles Aspekte, die mich auch heute noch anstrengen.

Kurzreflexion über das Wort „Anstrengen“ – Strenge steckt darin. Ich assoziiere weiter: anstrengen, kämpfen, suchen … ich will das nicht mehr. Ich will jetzt finden. Selbst wenn es darauf hinausläuft, mich selbst neu zu erfinden.

Was will ich erreichen versus …

Auch dies war ein wunderbarer Impuls von Judith Peters: erreichen oder bewirken. Erreicht habe ich wirklich sehr vieles von dem, was mir über die Jahre erstrebenswert erschien.

Trotzdem man mir mehrfach bescheinigt hast, dass meine Stimme ganz nett, aber sicher nicht groß genug für die Bühne ist, habe ich alle Partien, alle Opern-Arien, die mein Herz höher schlagen lassen, gesungen – welcher Sopran kann das schon sagen. Ich habe (fast) alle Geschichten und alle, die mir bisher zugeflogen sind, aufgeschrieben und veröffentlicht.

15 Opern à durchschnittlich 5 Partien = 75 Operngestalten – alles in meiner einen Kehle mit den 2 Stimmbändchen! Und einer wunderbaren Jeong-Min Kim an 88 Tasten.

Ob das nun immer sinnvoll, im rechten Zeit- und Geld-Verhältnis stand, sei dahingestellt, ich habe es getan. Vielleicht auch „trotzdem“ oder eben aus Trotz. Trotz ist ein starker und kraftvoller Motor, aber auch anstrengend, da sind wir wieder.

versus Was will ich bewirken

Bewirken ist etwas völlig anderes: Wenn mich nach dem Konzert eine Zuschrift erreicht: „Liebe Frau Dannheim, eigentlich mögen wir Oper gar nicht, aber Sie haben uns mit Ihrer lockeren Art und Ihrer Stimme so viel Freude gemacht. Endlich versteht man, worum es geht. Habe gerade 2 Karten im Opernhaus gebucht.“ Dann habe ich meinen Kulturauftrag erfüllt.

Oder wenn ich über Wiese, Wald, Berge spaziere, Kräuter und Wurzeln sammle und später die entstandenen Salben, Tinkturen und Tees an Freunde, Familie und Bekannte weitergebe, dann die Nachricht bekomme: „Franzi, die Entzündung ist über Nacht besser geworden, Danke. Wie hieß das Kraut nochmal? Beim nächsten Mal möchte ich beim Sammeln mitgehen.“ Ich liebe es, die Pflanzen beim Namen zu nennen. Unsere Nachbarn begrüßen wir doch auch namentlich. Unbedingte Buchempfehlung „Geflochtenes Süßgras“ von Robin Wall Kimmerer

Und wenn mir meine Söhne attestieren, ihnen diese Liebe zur Natur und den Respekt vermittelt zu haben, dass sie gemeinsam mit mir den Müll der anderen vom Berg mit hinunter nehmen, das erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit, etwas Gutes zu hinterlassen – und sei es noch so klein.

Wildblumenwiese mit rotem Klatschmohn und violettem Salbei
Auf so einer Wiese gedeiht meine halbe Hausapotheke.

Oder wenn ich nach ausgiebigen und einfühlsamen Gesprächen mit Hinterbliebenen eine Trauerrede verfasse, bei der ich mich mit den Verstorbenen verbinde und versuche, ein Bild von ihnen zu skizzieren, dass ihnen und ihrem Leben würdig ist, letztes Geleit sozusagen. Wenn in der Kapelle dann bei diesen letzten Worten auch ein Lächeln: „Genau so war sie. Danke. Als wäre sie jetzt dabei gewesen.“

Schlicht zusammengefasst: Beim ErreICHen geht’s ums ICH, beim BeWIRken geht’s ums WIR.

Wohin soll es gehen

Das Leben bringt immer Veränderungen mit sich. Manche plant man, manche widerfahren einem, manche sieht man kommen. Und da möchte ich dringend das Thema Wechseljahre ansprechen, oft mit negativer, unliebsamer Konnotation versehen. Sie heißen aber NICHT „Rückschrittjahre“ oder „Abstiegsjahre“, sondern WECHSEL.

Das heißt, es ist primär eine Wechsel auf der gleichen Ebene. Ich habe vielleicht nicht mehr die Kurz-Sprint-Power, aber auf der Langstrecke kann ich jede Blume am Wegesrand benennen. Welch wunderbarer Zugewinn an Erfahrung und Weisheit.

Fazit 2:  Diese dazu gewonnen Qualitäten wollen genutzt werden, ebenso, wie die vergangenen würdevoll verabschiedet werden sollten. Frei nach der alten Weisheit: 

In ein volles Glas kannst du nichts einschenken

Wohin das Alte gießen? Was damit düngen? Welchen neuen Abzweig einschlagen? Welche neue Landkarte auswählen? Welchen Rat annehmen? Wechsel ist immer aufregend. Man denke nur an Zahnwechsel, Schulwechsel, Fachwechsel und Wildwechsel!

Von wo nach wo? Dieser Kompass ist mir seit einigen Jahren ein lieber Begleiter. Es tut gut zu wissen, wo man steht oder wohin die Reise geht, im real pragmatischen, wie im übertragenen Sinn. Und wenn man mal nicht mehr so genau weiß, wo hinüber was trägt, dann ist so ein kleiner, fester, realer Gegenstand in der Hand sehr wohltuend – und meiner leuchtet sogar im Dunkeln!

Taschenkompass, Nadel zeigt gen Norden
Mein kleiner Taschenkompass zeigt zuverlässig gen Norden.

Ich habe ihn nach langem Suchen bei einem kleinen bezaubernden Optiker in Wismar entdeckt (Amazon habe ich nicht und Sinnfragen sollte man meines Erachtens nicht im world wide web navigieren. Es gibt kaum mehr einen analogen Kompass zu kaufen „ist doch in jedem Handy“. Will ich aber nicht. Dieser hier war ganz hinten in einer Schachtel unterm Ladentresen versteckt und schon lange nicht mehr im Kassensystem. Also durfte ich ihn gegen eine adäquate Spende in die Kaffeekasse mein Eigen nennen.

Vieles erkennt man erst im Rückblick: So habe ich zur Abschlussveranstaltung meiner Ausbildung in „Heimische Ethnomedizin“ im Jahr 2018 ein Lied geschrieben zum Kompass. Werde es demnächst auf Facebook oder Instagram zeigen.

Genau so wenig klar war mir im Spätsommer 2022, als ich kühn 2 Monate in meinem Spielkalender gesperrt habe, weil meine Sehnsucht nach Fernwandern wieder so groß war, dass der schnell gefundene Titel eine eigenwillige Tiefgründigkeit mit sich brachte:

franzi geht dann heim

Natürlich ist die Tourüberschrift ein feines, franzitypisches Wortspiel. Und ich habe schon mehrere Projekt-Überschriften mit meinem Namen erfunden. „Dann-heim-Spiele“ – war eine Reihe in Stuttgart. „Dann-heim-leuchten“, damit haben wir 2010 erfolgreich den Gewölbekeller vom Alten Bahnhof Kettwig als neuen Veranstaltungsort eingeweiht.

weites Feld, im Vordergrund Franziska Dannheim an ein Wanderschild gelehnt.
Ungefähr hier kam mir die Idee, wieder auf Wanderschaft zu gehen.

Fazit 3: Jetzt heißt es also: „franzi geht dann heim“. Bestenfalls komme ich dabei zur Besinnung, zur Bestimmung oder einfach wohlbehalten an.

Und dann sehen wir weiter: Stimme, Stimmung, Bestimmung, Verstimmung, Zustimmung, Abstimmung, Umstimmung … stimmt alles – zu seiner Zeit., stimmt’s?

Fortsetzung folgt. Oder, um meinen geliebten Hölderlin zu zitieren: „So dächt‘ ich – nächstens mehr“

Ein Gedanke zu „Meine Stimme – meine Bestimmung – und jetzt?

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