Zwischenblick Februar – März 2022

Draußen ist es frühlingshaft, die Sonne scheint. Mein heutiger Zwischenblick fällt auf Krokus und Schneeglöckchen. Die Vögel singen morgens so reizend und lieblich ihre kunstvollen Melodien, als wollten sie uns glauben machen, die Welt ist eine Gute. Und das ist sie auch, die Welt ist eine sehr gute!

Schneeglöckchen, Weißröckchen, der Schnee ist getaut

Es gibt jedoch einzelne Menschen, die (noch) nicht erkannt haben, dass diese Welt nur gut ist und bleibt, wenn jede und jeder nur soviel nimmt, wie sie und er braucht und in gleichem Maße auch bereit ist, zu geben. Welche drastischen, dramatischen Ausmaße eine ignorante und brutale Missachtung und Vergewaltigung dieser Grundrechenart der Menschlichkeit annehmen kann, das hat sich Anfang Februar doch niemand (außer einem) ausmalen können und wollen.

Wo kommt Licht her

Dabei machte sich der Februar recht vielversprechend auf den Weg: Anfang des Monats fiel das alte keltische Mondfest Imbolc zu Ehren der Frühjahrsgöttin Brigid tatsächlich auf einen Vollmond und auch noch zusammen mit der christlichen Übernahme-Feierlichkeit „Mariä Lichtmess“. Hier ist schön zu lesen, was es mit der traditionellen Kerzenweihe auf sich hat.

Zu diesem Zeitpunkt Anfang Februar werden die Tage spürbar länger, man sagt auch „der Sonnenhirsch macht einen Sprung“ und die Natur erwacht. Im asiatischen Raum wird Neujahr gefeiert. In vielen anderen Traditionen wird nun eine Art Reinigungsfest begangen. Auch die Römer kannten und feierten es, gaben ihm den Namen „Februa“ und daher rührt der Monatsname.

Ein Imbolc-Kreuz aus Binsen geflochten

Alles spielt ja in Sevilla

Von den Römern geht es nun nach Spanien, genauer gesagt nach Sevilla, denn unser Februar-Spielplan kam vergleichsweise spanisch daher: Zuerst  Beethovens Fideleonore – Eine klassische Befreiungs-Oper, die uns nach diesen vergangenen ZWEI Jahren wirklich ein klein wenig „Befreiung“ ankündigen wollte, durch langsam sinkende Infektionszahlen und damit steigende Aussichten auf eine Normalisierung – was auch immer darunter zu Verstehen sein kann.

Ebenfalls im Handlungsort Sevilla spielt der absolute Karnevals-Kracher von Gioachino Rossini über den dort ansässigen Barbier. Hervorragend in einer Zeit in der es keine Faschings-, und Karnevals-Feiern geben sollte. Warum so viele Opern in Sevilla spielen (neben den bereits erwähnten zählen dazu auch Carmen, Figaros Hochzeit, La Favorite, etc), damit werde ich mich wohl in einem zukünftigen Artikel beschäftigen.

Plötzlich hält die Welt den Atem an

Fassungslos, bestürzt, in schmerzlichster Anteilnahme verfolgen wir derzeit, dass das unmöglich Geglaubte gleich einer Bombe direkt neben uns eingeschlagen ist: Kriegsgeschehen in Europa. Ich gehöre zu einer Generation, die das Ende des Kalten Krieg zwischen Ost und West zwar miterlebt hat, habe zu der Zeit aber noch keine politische oder sozialpolitische Stellung beziehen können. Auch jetzt habe ich keine konkreten Lösungswege parat – wie auch?!

Aber ich werde mich der Lähmung nicht anheim geben: Ich kann zum Beispiel Aktion Deutschland hilft mit Spenden unterstützen , Hilfsgüter für den Transport zu organisieren. Oder mich bei der Organisation zur Aufnahme von Flüchtlingen in meinem Wohnort engagieren. UND: ich kann in mir selbst größtmöglichen Frieden kultivieren, um diesen dann Schrittchen für Schrittchen, Lichtstrahl für Lichtstrahl nach außen zu tragen – mein kleines Gärtlein hegen und pflegen, um möglichst viele Menschen an den Früchten meiner Arbeit teilhaben zu lassen.

Ich glaube ehrlich, dass diese Welt zu einem noch besseren Ort wird, wenn sich jede und jeder einzelne auf das beruft, was sie oder er zum größtmöglichen Wohl Aller am allerbesten kann. Und mit „aller“ meine ich wirklich ALLE: Pflanzen, Tiere, Menschen.

Dafür nun womöglich als naives und weltfremdes Blumenmädchen tituliert zu werden trage ich mit Fassung und erhobenem Haupt. Statt dessen deprimiert und von alten Ängsten getriggert in meinen tiefen und düstren Seelenkellern zu verharren ist für mich keine Option.

Geschmückter „Mädlestein“ im Schönbuch

Der schwarze und der weiße Wolf

Die Cherokee-Weisheit vom weißen und schwarzen Wolf wird vielen bekannt sein. Knapp umschrieben erzählt sie davon, dass wir alle helle und dunkle Anteile in uns tragen. Es geht folglich nicht darum, die dunklen Anteile auszublenden, sondern zu integrieren, da auch diese uns wachsen lassen- können. Auf der Seite Soulcamp von Christine Sosinka ist diese Geschichte wunderbar zu Ende erzählt  – und genau auf dieses Ende, das Integrieren ALLER Anteile kommt es an.

Ich habe gelesen, Mutter Teresa habe sich einst nicht aus innerer Berufung in Kalkutta den Armen und Kranken gewidmet, sondern weil sie den Hitler in sich selbst entdeckt hatte. Dieses drastische Bild macht mir auf eindringliche Weise klar, dass es nicht um Bewertung geht, sondern um Akzeptanz und konstruktiven Fortschritt: Was kann ich persönlich – mit meinen Gaben, meinen Fähigkeiten und Einschränkungen zum größtmöglichen Wohl aller beitragen. Nicht mehr und auch nicht weniger.

Genau da will es das Schicksal, besser: die wundervolle Synchronizität des Lebens, dass meine bezaubernde Pianistin Jeong-Min Kim und ich exakt in dieser Woche die Strichfassung unserer kommenden und damit FÜNFZEHNTEN -15! Oper fertig gestellt haben: Tschaikowskys Eugen Onegin.

Ich tauche ein in diesen unvergleichlichen betörenden Klangrausch. Eine Gefühlswelt zwischen Übermut und Lebenslust, zwischen Verdruss und Todessehnsucht. Ein Drama über die verpasste Chance, den verstrichenen rechten Zeitpunkt. Ich lese unterschiedliche Bücher zu Tschaikowskys Leben und Schaffen und versuche mich in die russische Mentalität, in das Umfeld – historisch, geografisch, melancholisch – hineinzuversetzen und erweitere meinen Horizont wieder einmal, um das Entdeckte mit dem Publikum zu teilen.

Blick über den Tellerrand

Sehr emotional bleibt es dann auch im März – zumindest, was meine Konzerte betrifft: Direkt am kommenden Samstag geben wir im zauberhaften Schloss Hückeswagen Mozarts Zauberflöte. Dieses vielschichtige Mysterienspiel im lustigen Volkstheater-Gewand rührt mich jedes mal aufs Neue, ist es doch ein Musterbeispiel in Sachen Menschwerdung, Würde und Ausgleich der Dualitäten. Danach steht Tosca steht im Rahmen unseres Jubiläums auf dem Spielplan. Natürlich sehe ich in Puccinis Polit-Krimi um Macht und Verderben tagespolitische Parallelen. Dieser Paradepartie der unvergleichlichen Maria Callas nähere ich mich in Ehrfurcht.

Ich war dieser Tage (siehe Foto vom „Mädlestein“)  in meiner Heimat – der Heimat Hölderlins. Seinen 252. Geburtstag am 20.3. nun mit meinem Programm Wem sonst als Dir, einer Art poetisch heimatliche Spurensuche, zu würdigen ist mir innerste Freude.

Diese warmen Sonnenstrahlen, diese Frühlingsdüfte von neu erwachendem Leben erwecken alle Lebensgeister. So habe ich die ersten Kraniche im Himmel gesehen und ihr Rufen gehört. Wer sagt eigentlich, wann und ob dies nun ein Zurückkommen oder ein Aufbrechen ist? Ich wünsche mir ein Aufbrechen in eine neue Zeit, in der der Mensch erkennt, dass diese Welt eine sehr gute ist, die es nicht nur zu genießen, sondern auch zu schützen gilt.

Auf dass sie sich noch lange weiter drehen möge.

Foto: Ralf Triesch