franzi geht dann heim – Zwischenblick X

Nun bin ich schon seit ein paar Tagen zurück in der Zivilisation. In einer sehr schönen und ländlichen Zivilisation am Schliersee. Ein goldener Spätsommer hüllt mich ein, der Himmel ist bezaubernd blau, die Wiesen saftig grün und der See erfrischend. Mein Rucksack und die Stiefel sind gepflegt und geschrubbt, Oberschenkel und Rückenmuskulatur wieder weich und ich selbst bin es irgendwie auch.

Ab und an ein kühles Bad – der Sommer hier ist ein Geschenk

Bin dankbar, stufenweise zurück zum Alltag übergehen zu dürfen, und bin mir auch sicher, dass es noch ein Weilchen dauern wird, bis das aufgewirbelte innere Mosaik wieder zur Ruhe kommt. In welchen Mustern und Farbkombinationen bleibt abzuwarten.

Dank meines handschriftlich geführten Tagebuches lasse ich mir nun die letzten vier Tagesetappen noch einmal auf Netzhaut, Seele und Tastatur zergehen und bringe damit auch diesen Blog zum Abschluss – wobei es sicher noch einen Resümee-Artikel, vielleicht sogar mit Empfehlungen zu Material, Route oder sonstige geben kann, je nach dem, welche Fragen oder Themen noch auftauchen. Wir werden sehen.

Außerdem bin ich vielfach angefragt und angeschrieben worden, ob es diese Chose bald auch als Buch geben wird, und seit heute kann ich sagen: wir sind dran.

Wohl an denn, die letzten Vier:

Tag 51: Herzogstandhaus – Jachenau

Heute Nacht hat es wirklich mächtig gewittert und geregnet. Auch wenn, wie im letzten Artikel beschrieben – der Himmel sehr gnädig gegen vier Uhr nachts seinen Vorhang geöffnet hat, um den Logenblick aufs Perseiden-Spektakel freizugeben, merkt man heute hier oben im Berg den Wetterumschwung noch deutlich. Auf der Terrasse ist alles klatschnass, außerdem windet es recht herausfordernd.

Das hindert uns nicht daran, den Frühstücksplatz erneut nach draußen zu verlegen. Wann werde ich mein Käsebrot bitte wieder vor so einem Panorama verputzen? Im Anschluss gibt es wieder ein „Lied des Tages“ und zwar „Historia de un Amor“ (wie alle Lieder des Tages auf Instagram und Facebook veröffentlicht). Diese Lieder, die da im Laufe der letzten Wochen aus irgendwelchen Seelentiefen und Erinnerungskästchen wieder aufgetaucht sind, bilden mir selbst eine wohltuende Umhüllung.

Auch wenn das Musizieren zu Beginn meiner Tour-Idee ganz anders gedacht war, nämlich um mit anderen in musikalischen Austausch, ins gemeinsame Musizieren zu kommen, so hat sich auf dieser speziellen Reise, nach diesen speziellen krankheitsbedingten Änderungen, genau dieses kleine und reduzierte Ukulelen-Spiel für mich als Sehen erwiesen. Riesiger Dank an Thorsten Sven Lietz, der mir diese zauberhafte Concertina aus speziell gewählten Hölzern geschaffen hat. Ihr Klang berührt und beruhigt mich ungemein.

Thorsten Lietz von Lietz Guitars, meinem allerersten Unterstützer dieser Tour, sei ewiger Dank für dieses Schmuckstück

Ganz gemächlich und gemütlich geht es bald mit einer der ersten Gondeln hinunter ins Tal an den Walchensee. Hier begegne ich der Düsseldorfer Truppe noch einmal und darf beobachten, wie die Sternbildleserin der vorletzten Nacht recht mühsam ihren Rollkoffer über den Bergschotter schleift. Irgendwie macht es Sinn, sich im alpinen Ambiente mit Rucksack fortzubewegen – denke ich mir. Mich fragt aber keiner, also halte ich die Klappe und freue mich einmal mehr, dass meine Ausrüstung, mein Rucksack wirklich perfekt passt und all meinen Anforderungen voll entspricht.

Und dann geht es los, am See entlang noch hinter den Ort Ursprung, bis zum Sachenbacher im Eck, wirklich ein herzallerliebster Ort, wie ihn der passend zersägte Baumstumpf am Hinweg schon verheissen will.

Kurz nach Ursprung am Ufer des Walchensees, wie passend: ürsprünglich herzlich …

Hier kann die Dannheimerin mal wieder nicht anders und hüpft in den See. Sie denkt nämlich noch, dass ihr heute eine lockere Tour bevorsteht. Entspannt und ohne viele Höhenmeter hinüber in die Jachenau, so hat sie sich das gedacht, die Dannheimerin. Und ihre Lektion bald erhalten. Vorerst fliegen ihr noch die Schwälbchen knapp um die Ohren und über die Seeoberfläche. Sie bittet inständig um deren weitere Begleitung bis an den Schliersee.

Nasse Badewäsche ordentlich auf dem Rucksackrücken, der Sonne zum Trocknen verschnürt, geht es weiter auf einen Weg, den die Komoot-App selbständig gewählt hat. Er verläuft zwar nahe parallel zum regulären Radweg, aber „nahe parallel“ bedeutet im Berg nicht unbedingt „ähnlich eben“. Es geht für mich also wieder einmal gehörig hinauf. Hinauf in einen schattigen und vom Regen feuchten Zauberwald und auch hier zeigt sich der Wetterwechsel der letzten Nacht: Unzählbar viele hundert Mini-Fröschlein machen sich genau heute auf den Weg, ihre Kinderstuben-Tümpel zu verlassen, um ins eigene Waldfroschleben aufzubrechen.

Kinderstube: Frosch oder Kröte? Wer weiß es

Ein entzückendes Gehüpfe direkt vor meinen Füßen. Ich stakse also vorsichtigst voran, um ja kein Tierlein zu erwischen und das erfordert viel Aufmerksamkeit und Kondition, schließlich geht es recht steil bergauf. Irgendwann ist der Weg zu Ende und ich muss feststellen, dass ich vor lauter Fröschlein-Fokus den Abzweig verpasst habe. Bin laut App zwar wieder nah parallel am Weg, es trennen mich leider 100 Meter steil abfallender Fels vom rechten Weg.

Es hilft alles nichts, ich muss umdrehen. Manchmal ist es mühsam, sich eingestehen zu müssen, dass man einen Fehler gemacht hat, dass es keine Option ist, weiter gerade aus (in den Abgrund) zu kaspern, dass man einfach umkehren  MUSS, zurück durchs bereits Gesehene, Erlebte, um an den Punkt zurückzukommen, wo man die rechte Chance verpasst hat. Eine Mischung aus Ärger, mindestens Unmut, und einer undefinierbaren Furcht keimt in mir auf. Ich steige schneller.

Meine Beinmuskulatur macht das mit, meine Pumpe aber nicht. Ich muss mich richtiggehend unterbrechen, das Tempo drosseln und mein Hirn wieder einschalten. „Sorge angemessen für deine Sicherheit“ geht mir durchs Gemüth, „für deine körperliche, nervliche und seelische Sicherheit“. Da fällt mir die Frau, der ich auf der Schwäbischen Alb begegnet bin wieder ein, die mir sagte: „I han a Angschdschdörung.“

Jetzt denke ich anders darüber, als vor drei Wochen. Aber ich bin zurück auf dem richtigen Weg. Chance genutzt, richtig abgebogen, jawoll und danke Herz, dass du dich wieder beruhigt hast. Auf ein Neues!

Es wird anspruchsvoll. Steil. Steinig. Und irgendwann sehr sonnig, sehr heiß. Den Weg in die Jachenau habe ich gefunden, auch in die hübsche Kirche und beherzt gesungen.

Für mich geht es danach noch ein gutes Stück weiter, immer schön an der Jachen entlang über saftige Wiesen, deren Anblick mich trotz aller Saftigkeit nicht davon ablenken kann, dass ich ziemlich erschöpft bin.

Immer wieder: O Täler weit, o Höhen

Meine Handy-App weiß zum Glück mein heutiges Etappenziel, ich selbst habe es vergessen. Weiß nicht einmal mehr, ob es dort überhaupt noch eine Wirtschaft gibt. Aber das ist nicht so wichtig. Hauptsache ich finde mein Bett unter sicherem Dach für heute Nacht.

Irgendwann überquere ich die Jachen und komme an einem wunderschönen Biergarten vorbei. Jubelnd beschließe ich, heute Abend, nachdem ich meine Pension gefunden und bezogen habe, genau hier den Abend mit einem Bier zu begießen und zu beschließen.

Nach kleineren Unstimmigkeiten zwischen mir, meiner App und den Straßenbegebenheiten stelle ich fest, dass dies exakt genau der Biergarten vom Staffelwirt, meiner heutigen Unterkunft ist. Wunderbar, wie gut für mich gesorgt wird. ICH habe mir diese Unterkunft gebucht. ICH habe den Weg hierher geschafft. ICH habe mich vielleicht nicht angemessen aber immerhin ausreichend um meine Sicherheit (und die der kleinen Fröschchen) gekümmert – das ist die Erkenntnis des Tages. Das Thema „Angschdschdörung“ wird mich in seiner Vielschichtigkeit sicher noch ein wenig begleiten. Ich schrieb ja bereits: von einer, die auszog, das Fürchten zu verlernen …

Nach Dusche und kurzer Erholungspause werde ich im Biergarten mit einem Namensschild am eigens für mich ausgewählten Platz erwartet. Das halberwachsene sehr Beruhigendes, so persönlich erwartet und erwünscht zu sein, dass der Platz extra für mich reserviert ist.

Prosit

Dankbar lasse ich mich nieder, bestelle Essen und Trinken und darf die kommenden neunzig Minuten den beiden Menschen an meinem Nachbartisch, erst unfreiwillig, dann bewusst unauffällig lauschen. Welche Welt sich hier in breitem Bayrisch auftut, könnte auf der Bühne aller Bauerntheater nicht pointierter dargeboten werden. Vielleicht habe ich ja auch nicht alles richtig verstanden, aber meine – zugegeben feurig entzundene – Fantasie schnitzt sich folgenden Kontext:

Hier trifft sich gerade ein Liebespaar heimlich. Beide um die siebzig. Sie: Kettenraucherin, Junggesellin, hat vor 58 Jahren beschlossen, den Jung-Mädchen-Duktus nie mehr abzulegen. Überkandidelte Mimik und Gestik. Er: langweilig verheiratet, lässt sich von diesem „flotten Energiebündel“ gerne an den Zauber früherer Jugendtage erinnern. Verblüffend, wie durchgehend SIE sich über das vermeintliche Fehlverhalten gemeinsamer Bekannter auslässt und mehr noch: wie oft das Adjektiv „hinterfotzig“ dabei Verwendung findet.

Nachdem ich mein zweites Radler leer getrunken habe, sind diese beiden beim vierten Bier und sicher noch lange nicht am Ende. Ich krieche in mein Bett und frage mich, ob es arg hinterfotzig von mir war, so exzessiv zuzuhören. Da – schwups – ist es vorbei mit dem Biergartenwetter und Donner, Blitz und Doria ziehen auf:

„A Ruah is!“ Dannheim schläft

Tag 52: Jachenau – Lenggries

Trotz Gewitter sind all meine handgewaschenen Kleidungsstücke – viele sind es nicht, hab ja nur das, was ich am Leib trage und einmal Wechsel plus ein drittes Paar Socken dabei, aber das nur am Rande – alle Sachen sind wieder trocken und so sitze ich bald mit bereits fertig gepacktem Rucksack im schönen Frühstücksraum vom Staffelwirt.

Ein sympathisches jüngeres Pärchen sitzt am Nachbartisch. Wir kommen ins Gespräch. Hier zeigt sich nach Bekanntwerden meiner Langwanderei wieder die typische Gesprächs-Entwicklung: Sie: interessiert, sehnsüchtig. Er: zurückhaltend skeptisch. Sie fasst es am Schluss wunderbar zusammen: „Ich würde das ja auch gern, aber ich trau mich nicht, könnte das nicht allein. ER macht das alles mit der Komoot-App, ich lauf ja nur hinterher.“

Kenn ich. Würden wir alle wohl mindestens ab und an gern tun: einfach hinterherlaufen. Ist aber nicht immer ratsam. Manchmal muss man selber denken, selber entscheiden und damit auch selber Fehler machen, enorm wichtig. Von wegen „Wer kriecht stolpert nicht“ – danke, weiter geht‘s.

Ich breche auf gen Lenggries. Ein Ortsname, der mir von den Zug-Ansagen der Bayrischen Oberlandbahn, kurz BOB, mit der ich schon unzählige Male an den Schliersee gefahren bin, geläufig und vertraut aber real gänzlich unbekannt ist ( ich weiß, heute heißt sie BRB, bayrische Regionalbahn, mir gefällt BOB aber besser, ich bleib dabei.)

Nun befinde ich mich nun auf meiner drittletzten Etappe, und langsam steigt dieses Gefühl des nahenden Endes in mir auf. Nicht unglücklich, es ist bald wirklich gut, der Knöchel toleriert täglich ca. einen Kilometer Laufstrecke weniger. Es ist eher die freudige Erwartung, jetzt „den Sack zuzumachen“ – wenigstens ein Stückchen weit oder vorübergehend. Und so tauchen auf dieser Zielgeraden nochmal viele Themen auf. „Persönliche Sicherheit“, zum Beispiel, hatten wir gestern. Selbstverbundenheit. Wer bin ich denn nun?

Wo komme ich her? Und wo gehe ich hin?

Mit diesen Fragen bin ich einstens, vor gut 7 Wochen aufgebrochen. Habe meine persönlichen „50 shades of grey“, all diese Schattierungen des Unwohlseins (siehe vergangener Artikel) erlebt, zumindest einen Gutteil davon. Und jetzt stellt sich die Frage: welches sind denn dann im Gegenzug Dannheims persönliche „50 shades yellow“, sprich: Erkenntnis, vielleicht sogar kurz vor Erleuchtung, in jedem Fall Erleichterung, auch Erheiterung?

Ich habe da ein Gefühl, eine Ahnung, und das ist ein großes Geschenk – ich spüre und bin mir dabei sicher. Mit mir in Sicherheit.

So führt mich der Weg weiter an der farblich eher unauffälligen und auch sonst irgendwie bescheidenen Jachen entlang, teils hinauf in wildschönen Urwald, der sich nach wilden Wasserfällen wieder öffnet und den Blick auf eine Hochebene mit Alm freigibt. Wunderschön. Hier mache ich meine erste Pause, sitze im Schatten und stelle mir vor, wie es wohl ist, hier heroben im Wandel der Jahreszeiten zu leben. Steigende Temperaturen und die wandernde Sonne erinnern mich daran, selbst wieder das Wandern aufzunehmen, das wird mit der Hitze ja nicht besser.

Schattenspendende Schwestern-Eichen

Ich merke ganz deutlich, dass ich insgesamt im Vergleich zum Beginn meiner Tour deutlich an Kondition, Lungenvolumen und Muskelkraft zugenommen habe, im Durchschnitt auch längere Tagesetappen laufe, trotz anspruchsvollerer Höhenwege hier in den Alpen. Aber der Körper flüstert: „Jetzt ist dann langsam mal gut“.
Ja, sage ich zu ihm: „Bald ist es geschafft. Lass uns an die Isar gehen.“

Auf diesen Fluss, diese unendlich weiblich wilde Wasserkraft, freue ich besonders. Kann nicht genau sagen, warum, weiß von einigen archaischen Mythen und bin einfach gespannt.

So queren ich und mein Körper nach der Pause gestärkt die Hochebende und gelangen erst wieder ans Jachen-Wasser. Schließlich wird das Rauschen Stereo: links die Jachen, rechts die wilde Isar.

Beim Versuch, frühzeitig an ihre Ufer zu gelangen, scheitere ich drei Mal, das Wasser ist eben recht hoch und mein Rucksack lässt mich nicht so behände durch die Büsche krabbeln. Ja, sie ist eine erhabene wilde Braut, diese Isar. Eine Eiszeit-Erbin gesäumt von Urwald und Steppe, dabei unerbittlich heiß.

Sie hat eine besondere Magie, diese Isar-Landschaft

Ich versinke schon ein wenig im Delirium bis vor mir endlich Lenggries, mein heutiges Etappenziel auftaucht. Hier gibt es eine Brücke, unter der entlang eines längeren Uferabschnitts viele Menschen Abkühlung suchen. Außerdem ist es der Start- und Einweise-Platz für diverse Paddelboot und Wildwasser-Sportler. Weit und schattig und eine unmissverständliche Einladung, in die Fluten zu steigen. Wunderbar. Und gar nicht so kalt, wie ich es von der Einzeit-Königin erwartet hätte.

Vergleichsweise frisch erreiche ich die Jugendherberge in Lenggries, werde reizend von der Rezeptionistin empfangen – als sie bei der Buchung erfahren hat, dass ich allein und fern Wandernde bin, hat sie mir rücksichtsvoller Weise ein Einzelzimmer direkt im Erdgeschoss zu gewiesen, damit ich‘ nicht mehr soweit habe.

Ich genieße den Luxus, mich noch zum Abendessen anmelden zu können, so muss ich das Haus für heute nicht mehr verlassen, herrlich. Heute ist hier im Hause „Pasta-Party“, was will ich mehr.

Eine Wachsblume blüht im Speisesaal – seltsam artifizieller Kontrast zur Natur draußen

Das Haus ist gut besucht, nicht nur, weil es sich von hier aus mit oder ohne Kinder wunderbare Tagesausflüge in die Bergwelt machen lässt, sondern auch weil hier gerade Volksfest ist, mit Bierzelt und Musik. Einige, eher mittelalte Männer reisen dafür an und präparieren sich vor dem Aufbruch noch mit Lederhose, Wadlstrümpf und Haferlschuhen. Bin gespannt, ob sich deren Rückkehr des nächtens in die JuHe akustisch bemerkbar macht und wenn ja, wie.

Ich selbst setze mich mit Ukulele und meinen Reiselieder-Noten noch auf die Terrasse. Ein paar Kinder spielen Fußball auf der Wiese davor. Blick in den Himmel. Keine einzige Schwalbe ist zu sehen. Wo seid ihr? Heute ist doch erst der 14. August. Bitte fliegt noch nicht fort, kommt mit mir noch an den Schliersee.

Es dämmert, und die Zeit der Müdigkeitsunfälle müsste demnächst beginnen. Richtig, zwei kleine Mädchen heulen laut auf und bald sind wir nur noch zu dritt auf der Terrasse, ein nettes Paar aus Reutlingen und ich. Über die Musik kommen wir in eine schönes Gespräch, entdecken einige Parallelitäten und auch einige Unterschiede.

Mich überkommt steinerne Müdigkeit, der Tag und seine Etappe waren lang und vor allem heiß. Danke liebe Frau Rezeptionistin, dass ich jetzt nur noch ein paar Meter den Gang entlang schlurfen darf, um von meinem Bett im Zimmer mit dem tollen Namen „Seekarspitze“ verschluckt zu werden. Ok, Zähne putze ich vorher noch, das ist aber auch alles.

Tag 53: Lenggries – Bad Wiessee

Ich wache auf und stelle fest, dass die Lederhosenmänner bei ihrer Rückkehr vorbildlich rücksichtsvoll oder einfach nicht zu hackeblau waren, nichts hab ich gehört, komplett durch- und damit ausgeschlafen.

Heute ist Mariä Himmelfahrt, Kräuterweihe. Jedes Jahr sammle und pflücke ich für diesen Tag einen besonderen Kräuterstrauß oder Kräuterbuschen genannt, manchmal gehe ich damit in die Kirche zur Kräuterweihe, meist weihe ich mir die Schwestern selbst. Der Strauß hängt dann übers Jahr an der Tür und sorgt für Segen und Gesundheit, einige Blumen darin haben besondere Aufgaben: Die Königskerze im Zentrum sorgt dafür, dass es nie zu dunkel wird, das konnte ich im Wald hinter der Bärenhöhle am 26. Juli so tröstlich erleben. Johanniskraut hilft gegen Gewitter und das Sanikel zeigt sich dem, der es braucht. Und in den Rauhnächten wird mit dem getrockneten Strauß fein geräuchert.

Dieses Jahr war ja schnell klar, dass ich keinen Strauß mit mir herumtragen werde, also habe ich früh angefangen, liebevoll ausgewählte Kräuter – immer drei von einer Familie – zum festen Räucherbündel zu wickeln, jeden Tag eine kleine Schicht dazu. Der Duft dieses inzwischen prächtigen Bündels ist betörend. Mein JuHe-Zimmer riecht wie eine Almwiese.

Alles gepackt und das Kräuterbündel darf zur Feier des Tages oben auf

Mit Rücksicht auf meine Haxen, beschließe ich heute, nicht ÜBER den vorletzten Berg dieser gesammten Wanderung zu gehen, sondern drumherum. Werde ein paar Kilometer dabei mit dem Bus und oder mit dem Schiff einsparen. So denke ich mir das beim Frühstück noch zurecht, möchte mir zum Finale hin gerne den Genuss gönnen. Der Weg führt mich noch einmal an der Isar-Eiskönigin entlang nach Tölz, Verzeihung: Bad Tölz.

Flora – Fauna – Isar – wunderbar

Alles fügt sich bestens. Bis ich Bad Tölz erreicht habe, dauert es gerade mal eine viertel Stunde, bin mein Bus -laut Plan an diesem Feiertag kommen soll. Ich kann mir zwar kein Eis mehr kaufen, dafür aber den Aufbruch des Tölzer Knabenchores beobachten. Der riesige Tourbus steht nämlich am Nachbar-Gleis. In kräftigen Farben mit fettem Tölzer Knabenchor Logo. Sehr cool. Ideen zu irgendwelchen albernen Fotoschnappschüssen Keimen in mir auf, von wegen: Dannheim krabbelt in die Gepäckklappe oder klemmt sich hinten an die Stoßstange (das wäre farblich besonders interessant gewesen).

Da kommt eine große Schar gut gelaunter Knaben in schwarzen Hosen, weißen Hemden und ordentlichen, schwarzen Schuhen die steile Kopfsteinpflasterstraße zum Quai runter geflitzt, gehüpft, getrödelt, angespornt. Es geht wohl zur nachmittägliche Konzertreise, macht an Mariä Himmelfahrt auch unbedingt Sinn. Schwups, verschwinden die ordentlich gekleideten Kerle alle im Bus und ich stehe wieder allein an der Haltestelle. Und warte. Die gedachte Ankunfts- und Abfahrtszeit verstreicht.

Ich bin geduldig, kontrolliere den Plan und warte. Feiertag- Nachmittags kann es ja mal zu Verzögerungen kommen. Es ist heiß. Ich denke an die Knaben und ob sie wohl in einem klimatisierten Bus unterwegs sind, und mein Bus kommt nicht. Niemand den ich fragen kann außer die stechende Sonne, als wollte sie mir hämisch sagen: „Na, kannst du noch nicht einmal mehr einen Busfahrplan lesen?!“

Ein Bus mit der Aufschrift „Betriebsfahrt“ parkt im Abseits. Ich versuche Kontakt mit dem Menschen hinter der Fahrerscheibe aufzunehmen, aber er will nicht. Irgendwann kurbelt er missmutig das Fenster runter, mustert mich und raunzt mich an: „Ja, was wollen Sie von mir in MEINER PAUSE?“ Breites Sächsisch.

Ich bin total getroffen, fühle mich wie bei der Bäckersfrau in Weil der Stadt (siehe vergangener Artikel)  als dahergelaufene Landstreicherin abgekanzelt und wozu auch immer degradiert. Ich muss heulen und gehe weg. Suche über mein Handy eine Alternative. Die kostet mich zwar etliche Kilometer zu Fuß zusätzlich, dazu noch eine Zugfahrt, einmal umsteigen und dann stehe ich in Gmund am Tegernsee. Tiefschwarze Gewitterwolken sind aufgezogen. Giftig schaut es aus und ich rechne mit dem Gewitter in spätestens 45 Minuten.

Da dräut es hinterm Berg hervor

Zum großen Bootsanleger zu hechten, um das  Schiff nach Wiessee zu erreichen erscheint mir keine Option. Ich stehe also weiter am Bahnhof und warte auf einen weiteren Bus. Der Himmel wird immer dunkler. Zahllose Menschen strömen hektisch vom Seeufer hoch, versammeln sich mit Fahrrädern, Badematte, Schwimmutensilien, Hunden an der Leine und Kindern im Kinderwagen unter dem vergleichsweise kleinen Blech-Vordach.

Da fängt es derart an zu regnen,  zu hageln, zu stürmen und zu gewittern, dass, glaube ich, keiner von uns nicht bitte sofort von Scotty ins eigene Wohnzimmer gebeamt werden will. Neben mir schaut eine Frau versonnen auf meinen Wanderstab und fragt: „Ist der 1,27 m lang.“ Bitte? „Mein Schamane“, fährt sie fort „ sagt,mein Stab sollte 1,27 m lang sein, da bündelt er die guten Schwingungen optimal.“ Und schon ist sie in der unruhigen Menge wieder verschwunden.

Ich sinniere kurz über die optimalen Schwingungen, da kommt die Krönung. Mein Bus nach Wiessee ist es nicht, schade. Es ist der Bus nach Schliersee! Ich gebe es zu, für einen kurzen  Omen spiele ich mit dem Gedanken, einfach einzusteigen und diese Tour hiermit ohne letzte Etappe zu beenden. Das bedeutet letzten Endes, abzubrechen. Ich das lasse ich nicht durchgehen!

Dannheimerin, du bist jetzt  siebeneinhalb Wochen unterwegs, durch Regen, Sonne, Hitze, Hagel, Gewitter und Schnee. Jetzt bring es mit Grandezza zu Ende!

So winke ich dem Schlierseebus hinterher und sitze kurz darauf im Bus nach Wiessee. Gewitter und Regen beruhigen sich und so komme ich FAST entspannt in meine Heutige Unterkunft. Haus Ertle. Sehr schön am Ortsrand gelegen mit prächtigen Blumenkästen an den Balkonen.

Nach der Dusche falle ich völlig erschöpft ins Bett und Kippe für 1 1/2 Stunden in wilde Träume. Dann überlege ich, das Abendprogramm für heute vielleicht ausfallen zulassen, inklusive Abendessen, und einfach im Bett liegen zu bleiben.

Aber als letzen Abend dieser gewaltigen, gewagten und wunderbaren Tour kann ich mir das nicht durchgehen lassen. Raffe mich auf, ziehe mich quasi am eigenen Schopf aus dem Plümmo und wandere ins Dorf, auf der Suche nach einer Wirtschaft, was in Bad Wiessee leider kein so einfaches Unterfangen mehr ist. Ich lande glücklich im zweitletzten Lokal vor Ort, der Königslinde. Soviel Noblesse muss zum Schluss schon sein. Der Himmel reißt an ein paar Stellen auf, aber es bleibt irgendwie gewaltig dunkel.

Bei Sonnenschein ist der Biergarten der Königslinde sicher ein Traum, ich gehe heute lieber rein

Siehe da, die Königslinde ist eine ganz handfeste Wirtschaft mit köstlichen Kässpätzle und leckerem Bier. Ich werde von einer sehr netten Kellnerin bedient und gönne mir zum Schluss, während ich die letzten Zeilen in mein Tagebuch schreibe, einen Haselnussgeist. EINEN, obwohl der so lecker ist, dass ich gern einen zweiten bestellt hätte, aber mit dem Hochprozentigen bin ich sehr vorsichtig.

Zurück in meinem Gästezimmer bin ich sehr zufrieden, sehr satt und sehr froh, dass ich dem Tag und mir noch diesen schönen Abschluss vergönnt habe.

Tag 54: Tegernsee – Schliersee

So düster und dunkel der gestrige Tag war, so golden begrüßt mich dieser neue. Mir scheint zum Aufwachen tatsächlich die aufgehende Sonne direkt über die mit Betunien bepflanzen Balkonkästen auf mein Kopfkissen mir mitten ins Gesicht.

Blendende Aussichten vom Bett aus

Und genau so golden und heiter geht es weiter. Frühstück und Abschied aus Wiessee. Leider habe ich es wieder geschafft, den Fahrplan nicht richtig zu lesen. Ich stehe zum Glück ordentlich vor der Zeit am falschen Bootsanleger. Erfahre das noch rechtzeitig von einem sehr charmanten Schiffahrtsmitarbeiter, einem jungen Mann mit tiefer Bassstimme, von der ich mir nur allzu gern alle An-und Abfahrts-Zeiten der gesamten Tegernsee-Flotte vorlesen lassen würde. Aber er schickt mich los: „Sie sind sportlich, Sie schaffen das in 15 Minuten.“

Also los geht‘s! Stock und Hut, stehen ihr gut, ist auch wohl gemuht … so sprintet das Fränzchenklein nun hinauf nach Alt Wiessee und wieder hinunter in den richtigen Anleger/Ablegerort mit dem passenden Namen „Abwinkeln“. Ja, da musste ich also vor der letzten Zielgeraden noch ein letztes Mal abwinkeln, um dann – königinnengleich – als erste und einzige Passagierin – das Schiff zu betreten. Für etwa eine halbe Stnde darf ich dann mit samt „Lied des Tages“ oben an Deck, eben vom Wasser her, überraschend ungewohnte Blicke auf den mir sonst so vertrauten Nachbarsee genießen. Durch die Lautsprecher erfahre ich interessante Dinge zum Land und seinen Leuten.

Die auffallend große Anlage des Klosters und seines Klosterstüberls ist weithin sichtbar und genau dort verlasse ich das Schiff. Bin jetzt in wirklich vertrautem Gelände angekommen. Hier haben wir schon oft die Wanderung mit Bier und Weißwurst beendet, die ich jetzt in exakt anderer Richtung als Schlussstein meiner Wanderung begehen werde. Natürlich nicht, ohne hier im Klosterstüberl ein Radler zu tanken.

Letzter Blick auf den Tegernsee, jetzt geht es über den Prinzenweg dann heim an den Schliersee

Der Aufstieg über die  Neureuth zur Gindlalm geht sich sehr angenehm. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich am Ende des Dorfes noch eine Maria Schnee Kapelle besucht und besungen habe. Mit einer Maria Schnee Kapelle hat mein Jakobsweg unter segensreichem Einfluss von Bruder Dirk in Beyenburg begonnen, und nun endet es hier mit einer solchen. Ich sehe das als sehr stimmiges Zeichen.

Bei wahrlich strahlender Sonne und nicht EINEM Anzeichen von Gewitter geht es in den kühlen Wald hinauf. Die Luft duftet spätsommerschwer. Ich kann es kaum glauben, dass gestern erst dieses düstere Unwetter an der anderen Uferseite des Tegernsees über uns nieder ging. Wie gut, dass ich den Bus an den Schliersee NICHT genommen habe.

Ich bekomme die Assoziation zum Märchen von Frau Holle. Wäre ich gestern aus dem nachtschwarzen Gewitter abgereist, wäre ich wohl zur Pechmarie meiner eigenen Wanderung geschrumpft. So aber jubelt die Goldmarie den Berg hinauf, golden eingehüllt von einer liebevollen Sonne, einem schatten- und duftspendenden Wald und werde, oben angekommen, mit einem fantastischen Blick in „meine“ Berge doppelt belohnt. Der Wendelstein empfängt mich majestätisch. Es macht mich so glücklich.

Der Wendelstein – mein „Apu“. Zu ihm werde ich zum finalen Abschluss noch pilgern.

Sehr, sehr langsam realisiere ich, dass ich nun wirklich bald ankommen werde. „Franzi ist dann heim gegangen“.

Was für eine Idee, was für ein Titel, was für Verlauf, was für ein Gewinn, was für ein Glück. Irgendwann sehe ich auf den See, auf meinen Schliersee. Zahllose Schwalben fliegen wilde Figuren knapp über der Seeoberfläche. Sie sind noch da, Danke. Und ich darf jetzt ankommen.

Als erstes springe ich ins Wasser. Alles andere kommt später.

Ein letzter Resümee-Artikel ebenfalls. Außerdem bereite ich jetzt meinen „Musikalischen Reisebericht“ vor, den ich am 26.8. im Rahmen von Jelena Ivanovics Kunstbaden im Grugabad in Essen präsentieren werde.

Also, ran an die Ukulele, Frau Dannheim.

NOTA BENE: Mein Wanderstab ist übrigens 1,33 m lang und optimal geschwungen.

Stab & Buschen

 

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