franzi geht dann heim – Zwischenblick I

ACHTUNG: ich achte während der Reise beim Schreiben dieser Zwischenblicke wenig auf Rechtschreibung und Gestaltung. Das wird später nachgeholt.

Wohlan, da war er plötzlich da, der 24. Juni: Tag meines Aufbruchs.

Ich habe in der Nacht nicht wirklich ruhig geschlafen. Immer wieder tauchten Zweifel auf, ob ich wirklich die passende Ausrüstung habe, ob ich die Route angemessen vorbereitet habe, wie das mit den Übernachtungen klappen wird und ob mein Körper überhaupt mitmacht.

Schließlich habe ich zwei Tage vor Aufbruch sogar noch eine Ohrspeicheldrüsenentzündung (herrlich langes Wort mit zwei Umlauten und saudoofen Begleiterscheinungen) kredenzt bekommen. Als wollte das Schicksal nochmal alle Register ziehen, um herauszufinden, ob die Dannheimerin es auch wirklich will. Und sie will.

Tag 1: Essen Stadtwald – Velbert, Bergischer Weg

Selbst am Morgen gibt es noch ein paar blöde Hemmschuhe: düstere Vorahnungen mütterlicherseits, unheitere Orakelkarte gezogen, Heimliche Liebe, also das Start-Lokal, öffnet erst eine Stunde später …

Aufbruch & Abschied am Baldeneyer Berg, dem Start des Bergischen Weges

Doch spätestens als drei Freundinnen und ein Sohn am Baldeney Berg auftauchen und mich mit Johannisbeersaftschorle und bekloppten Ratschlägen verabschieden (Danke Carmela, ich werde nicht alles vespern, was am Wegesrand wächst, versprochen) und mir dann auch noch den „Irischen Reisesegen“ singen, heulen fast alle Beteiligten und ich gehe frohgemut los (frei nach: Fränzchenklein ging allein in die weite Welt hinein. Stock und Hut stehen ihr gut, ist auch wohlgemut)

Schnell merke ich: der Rucksack ist zu schwer. Ich war in der Vorbereitung halt stur und habe mich unvernünftiger Weise entschieden, mein Medizinbündel mitzunehmen – und ich verrate an dieser Stelle nicht, wieviel es wiegt. Außerdem hat es der Zupfinstrumentenmachermeister Thorsten Sven Lietz besonders gut mit mir und meinem Wunsch, auf der Reise zu musizieren, gemeint und mir eine etwas größere Concertina gebaut. Sie klingt wirklich bezaubernd und sieht auch genauso aus. Klar muss sie mit und trotz ihrer etwas großen Tasche (plus dementsprechend zusätzlichem Gewicht) mit auf den Weg.

Der Baldeneysee ist mir vertraut und zeigt sich bei strahlendem Sonnenschein noch mal von seiner besten Seite – von wegen: „warum willst du eigentlich an den Schliersee, Fränzchenklein? Hier ist doch auch sehr schön“.

Hoch über dem Baldeneysee – und es geht ab jetzt an den Schliersee

An der Stelle, wo sich Baldeneysteig und der Bergische Weg endgültig trennen, mache ich eine erste Pause und sinniere, dass ich ab jetzt für mich neues Terrain betrete, also quasi über mich hinaus gehe. Ein Paar kommt vorbei. Sie haben den Aufbruch an der Heimlichen Liebe beobachtet und gehen in die gleiche Richtung. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass ich mich bei meiner geplanten Etappenlänge vertan habe, was mir nicht nur einmal passiert.

Ich schaffe es sogar, im Langenhorster Wald komplett vom Weg abzukommen, und dieser Wald ist wirklich bezaubernd verwunschen. Rotfränzchen schaut nach dem Wolf und geht unbeirrt weiter.
In Velbert komme ich irgendwann am Brauhaus Alter Bahnhof vorbei und beschließe kurzerhand und mit schwerem Fuß, die heutige Tour genau hier zu beenden, und zwar mit zwei großen Johannisbeerschorli – wie wir Lateinerinnen sagen.

Kein Bier – aber passend zum Tag Johannisbeersaft.

Fazit: ein heißer Einstiegstag. Der Start ist gemacht, Prosit!

Themen: Neue Blickwinkel. Was ist Pflicht und wie greift sie. Was bedeutet „Ankommen“.

Tag 2: Neviges – Elberfeld, Zuweg zum Jakobsweg

Auf dem Weg zum Nevigeser Dom denke ich an mein Programm „Mariengrüße“, mit dem wir hier vor 21 Jahren Premiere hatten. Sofort spüre ich tief im Innern die Aufgeregtheit von einst, weil ich mich damals 2002 sowohl dem klassischen Gesang, vor allem aber diesem großen und wundervollen Thema „Maria – Mutter Gottes, Schwester der Großen Ur-Göttinnen“ nicht recht gewachsen fühlte. Das hat sich über die 21 Jahre grundlegend geändert, und nicht nur das.

Im Dom zu Neviges unterm zauberschönen Rosenfenster

Im Dom fühle ich mich trotz Beton sofort wieder warm empfangen. Eine reizende Mitarbeiterin setzt den ersten Stempel in meinen offiziellen Pilgerpass – ich werde erst später erfahren, dass er wirklich vonnöten oder zumindest sehr hilfreich ist, dieser Original-Santiago di Compostella-Pass.

Während ich in der Marienkapelle eine Kerze anzünde, versammeln sich eine Handvoll Frauen zum Rosenkranz-Gebet. Die Männer sind wohl derzeit alle in Frankreich, da einer der Brüder zum Priester geweiht wird. So setze ich mich zu den Frauen in die Kirchenbank ganz nach hinten und bin gespannt, was kommt. Erstaunt stelle ich fest, dass ich alle Teile des Rosenkranzes mitbeten kann – obwohl ich evangelisch getauft bin und mit den christlichen Religionspraktiken nicht vertraut bin.

Beim „Gegrüßt seist du, Maria“ fallen mir nach und nach alle Texte meiner „Mariengrüße“ ein. Vor allem Luzzis Vertonung kommt mir in den Sinn und in die Kehle. Am Ende frage ich vorsichtig nach den Gepflogenheiten, und dass ich gern ein Marienlied anstimmen möchte – ungeachtet der aktuellen Stimmeinschränkungen. Ich setze einfach tiefer ein und es tut so unendlich gut, in diesem Raum, in diesem Rahmen die Stimme schweben zu lassen.

Alle sind wir irgendwie ergriffen und eine der Frauen schenkt mir einen wunderhübschen, zierlichen kleinen Rosenkranz aus kleinen Holzwürfelchen. Passt, keine Perlen, eben nicht rund.

Vor dem Dom begegne ich meinem gestrigen Wanderpaar wieder – ja, man sieht sich immer zweimal. Wir unterhalten uns, und es zeigt sich jetzt schon ein interessantes Muster, das ich im Lauf der Wanderung vielleicht erkunden kann: Die Frauen, mit denen ich ins Gespräch komme, sind von meinem Plan begeistert, inspiriert, fast sehnsuchtsvoll. Die Männer irgendwie überfordert.

Unsere Wege trennen sich hier, nun wirklich. Sie folgen dem Bergischen Weg, ich folge ab jetzt bis Speyer dem Jakobsweg, dem „Camino“, wie er liebevoll genannt wird.

Ab dann wird es landschaftlich herrlich. „O Täler weit, O Höhen“stimme ich spontan im Schatten einer großen Buche mit meiner Ukulele an.

Tief durchatmen und los: Die Ukulele von Thorsten Sven Lietz klingt so schön.

Später begegnet mir eine reizende Frau mit Hund. Schnell kommen wir drauf, dass sie genau morgen dorthin fährt, wo mich meine Wanderung in 8 Wochen hinführen soll. Schliersee. Es gibt keine Zufälle.

Heute ist es noch heißer, als gestern. Es hat viel mit Meditation zu tun, einen Fuß vor den anderen zu setzen und den Hitzeerscheinungen im Körper urteilsfrei nachzuspüren.

Die Königin – würdevoll auch bei 32 Grad

Später komme ich im Wald mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch (gleiches Spiel: sie begeistert, er distanziert). Sie fragen nach meinem nächsten Ziel, bieten mir spontan einen Schlafplatz bei sich an und erzählen vom berühmten Bruder Dirk, dem ich am kommenden Tag in Beyenburg begegnen soll.

Letzte Schritte führen in die knallheiße asphaltierte Stadt hinein – das bekommt mir gar nicht so gut.

Fazit: die Franzi ist und bleibt ein „Landei“

Themen: Wann traue ich mich, wie und vor allem wo zu singen …

(während ich diesen Satz schreibe, kackt mir eine Krähe aus der großen Schirmeiche, unter der ich sitze einen fetten Schiss mitten auf den Kopf . Ich höre sie keckern. Das bringt Glück, weiß doch jedes Kind! Frei nach dem Gewitter-Merkspruch: Buchen sollst du suchen, Weiden sollst du meiden, unter Eichen kriegst du Zeichen. Beweisfotos folgt am Ende.

Genug der Themen für heute.

Tag 3: Elberfeld – Beyenburg

Wie bereits erwähnt, bekommt mir das städtische Ambiente gar nicht so gut – obwohl ich direkt zu Beginn eine liebe Bekannte treffe. Also beschließe ich, diesen Teil des heutigen Weges zu „überfliegen“ und nehme die Schwebebahn. Herrliche Aussicht und ca. 12 km Fußweg gespart.

Eine Schwebebahn ist lustig, einenSchwebebahn ist fein. Über die Wupper trägt sie die Dannheim

Meine Füße danken es mir. Ja, der Rucksack ist zu schwer, immer noch.

Mein Hut hingegen ist perfekt. Es gab im Vorfeld ja Spekulationen, ob er in der Hitze zu warm werden könnte, aber nein: die gute alte Wollqualität von Großvater Helmuts Hut klimatisiert meinen Schädel und die darin fliegenden Gedanken hervorragend. So trage ich diesen Hut nun andächtig durch Barmen, den Ort, in dem der Vater meines Großvaters Rektor der Grundschule war – auch hier greift oder ergreift mein Ansatz des Biografischen Wanderns.

Der weitere Weg führt mich heute über den des Sauerländischen Gebirgsvereins, und das „Gebirgige“ kommt hier gut rüber, samt Gipfelkreuz. Landschaftlich wieder umwerfend schön. Ich kann kaum glauben, dass ich gerade mal geschätzt 30 km Luftlinie vom Essener Zuhause entfernt solche Schönheiten entdecken darf. Wie war das mit den Vorurteilen?

In Beyenburg angekommen, entdecke ich im Schaukasten der katholischen Gemeinde direkt den Pilger-Übernachtungshinweis und Bruder Dirks Telefonnumer.

Ein vielversprechendes Empfangs-Schild

Fünf Minuten später sitze ich in Bruder Dirks Zimmer neben einer Radiomoderatorin und gegenüber eines unglaublich offenen und herzlichen Bruders Dirk, der hier als letzter verbliebener Bruder im Kloster Großartiges für seine Gemeinde tut (er hatte damals vor 2 Jahren noch vor den öffentlichen Warnungen den Stausee beobachtet und von seinem Kloster aus die Warnglocken geläutet und im Nachgang Spenden organisiert und verteilt).

Sein Lieblingsbereich, so berichtet er es der Moderatorin, ist die Betreuung der Pilger. Wie passend. Ich bin also der lebendige und freudig empfangener Beweis fürs Radio.

Radio Wuppertal, Bruder Dirk, meinereine und der Schnaps

Es fällt nicht schwer, mit Bruder Dirk direkt übers „Eingemachte“, wie er es nennt, zu reden: Über das Warum. Über wieviel Stimme die Sängerin also noch verfügt, wird direkt in der wunderschönen Klosterkirche Maria Magdalena überprüft. Dass ich intuitiv und ohne Hemmschwelle das Agnus Dei aus meiner Magdalenen Messe angestimmt habe, fällt mir erst danach auf.

Ich darf das großzügige und als „Kardinals-Suite“ benannte Zimmer im Pilgerbereich beziehen und am Abend bekocht mich Bruder Dirk vorzüglich. Ich bin berührt von soviel Gastfreundschaft und menschlich offenem Interesse, mehr noch: Zugewandtheit. Die Gespräche dieses Abend fliesen von Glauben versus Religion zum Buddhismus über Symbole in der sakralen Architektur und der Beseeltheit aller Dinge. Über meinen Aufbruch zu Johanni kommen wir zu Johannes „Die Liebe kennt keine Furcht. Wer sich fürchtet, dessen Liebe ist nicht vollkommen.“

Viele Impulse und Denkanstöße nehme ich mit.

Fazit: Danke Bruder Dirk, die Welt ist reicher durch Menschen wie dich.

Themen: Vertrauen, was ist, wie es ist, ist gut. Natur heilt mich sofort. Müll schmerzt mich, seelenlose Architektur auch. Angst habe ich vor den kaputten Menschen in den kaputten Städten. Was ist kaputt.

Tag 4: Beyenburg – Lennep – Wermelskirchen, auf dem Jakobs Weg

Nach einem köstlichen Frühstück werde ich von Bruder Dirk am ersten offiziellen Pilgermuschelschild gesegnet und verabschiedet. Es ist beruhigend und berührend, von nun an diesem Signet zu folgen (wenn es nicht, wie an etlichen Stellen abgepflückt wurde, Manno!)

Auf der Grenze zwischen Rheinland und Westfalen

Hier fliest die Wupper ganz beschaulich und trennt das Rheinland von Westfalen. So erfuhr ich es zum Abschied von Bruder Dirk und bin ganz froh: genau so hatte ich es mir erhofft, nämlich auf diesem Weg mehr über das Land, in dem ich lebe, zu erfahren, zu erlaufen, zu erkunden, mehr als nur die Autobahnabfahrtsschilder.

Zum Glück ist es heute deutlich kühler, denn gleich geht es ordentlich steil hinauf. Dann führt mich der Weg malerisch über weite Sommerfelder nach Lennep. Im dortigen Pilgerladen besorge ich mir auf Anraten noch eine Jakobsmuschel – damit es also jede auf Entfernung erkennen kann, auf welchen Weg sich diese Frau mit dem großen Rucksack – immer noch mit Ukulele, mit dem großen Hut und mit dem Stock macht.

Vielen Kindern fällt tatsächlich als erstes mein Stab auf. Und ich bin wirklich sehr glücklich mit meinem Kirschenstab, ist er mir am Hang doch wirklich eine stabile Stütze.

Danach besuche ich noch die liebe Ute in ihrem schönen Steineladen Topas und werde nicht nur mit frischem Wasser, sondern auch mit einem wundervollen blauen Dumortiererit beschenkt, ein Heilstein mit dem netten Beinamen „Take ist easy“. Den werde ich sicher ab und an gut brauchen können.

Ein Elefranz in Utes schönem Steinladen „Topas“

Und weiter geht es heute noch für mich nach Wermelskirchen. Erst entlang des großen Stausees, verläuft der Weg ab Ortseingang doch erstaunlich unschön, bis ich bei der Evangelischen Stadtkirche ankomme. Man hat mir geraten, hier nach einem Nachtquartier zu fragen.

Ich habe Glück, im Gemeindebüro schickt man mich sofort weiter zum Küster. Was für ein Kontrast zur gestrigen Übernachtung. Der nette Küster kocht uns Kaffee, trägt mir auf, 2 Äpfel zu schneiden – seine Frau schält diese wohl immer. Heute also Kammer mit Pritsche ohne Dusche, dafür Kaffee mit Apfel und Keksen.

Nach einer kleinen Wäsche in der Gemeindetoilette genieße ich zum Abendessen noch einen köstlichen Gruß aus Bruder Dirks Küche in meiner Vesperdose und dann krabbele ich bald in meinen Schlafsack, nicht ohne zuvor eine ausgeklügelte Absperrvorrichtung an meine Zimmertür gebaut zu haben. Für mich oder wegen mir bleibt die Gemeindehaustür ja heute Nacht offen, was mich andererseits aber auch nicht gänzlich unbefangen und den Schlaf kippen lässt.

Ein müder Abendfranz unterm Kirchturm

Nebenan in der Kirche übt jemand Orgel, sehr tröstlich.

Themen: Betrachte ich mich durch die vermeintliche Betrachtung durch andere. Warum so kompliziert. Wen stört es, wenn ich mich verlaufe. Mache ich Musik für mich oder für andere.

Tag 5: Wermelskirchen – Altenberg, auf dem Camino

Ich wache, wie so oft, mit dem ersten Vogelgesang auf und heute treibt mich dieser auch bald von der Klapppritsche (toll, ein Wort mit drei P). Bin nicht besonders erholt, denke an die Reinigungskraft, die wohl ab 6 Uhr durch diese heiligen Hallen fegt und weiß ja, dass die Pilgerin (gefälligst) um 7 Uhr aufbrechen sollte.

Zum Glück gibt es ein sehr schönes Bäckereicafé, die sehr guten Cappuccino machen. Für mich scheint da sofort die Sonne, draußen beginnt es allerdings zu nieseln. Endlich kommt mein tolles Regencape zum Einsatz.

Sogar die Ukulele lässt sich mit etwas Geschick unterm Cape vor dem ersten Regen verbergen

Der Weg führt heute, laut Wegbeschreibung, auf den schönsten Streckenabschnitt des Bergischen Jakobsweges. Fast durchweg entlang des verwunschenen Eifgen-Bachlaufes. Über weite Strecken im Wald verborgen bin ich gut geschützt vor dem leichten Regen. Drei Mühlen stehen hier und natürlich fallen mir allerhand Müllerslieder aber auch diverse mehr oder weniger schauerliche Mühlenmärchen ein.

Woran es wohl liegt, heute ist es in jedem Fall ein mühsamer Tag, von Anfang an, und zwar seelisch, geistig und körperlich. Ich habe Zuviel oder zu Schweres in meinem Gepäck, definitiv. Denke an die „Zehn Ge(h)bote“ – ja die gibt es wirklich – und sinniere über das Unnötige und motze mit mir von wegen: „Ich schleppe die Last der mir selbst auferlegten Dinge“ – im übertragenen, wie im praktischen Sinn.

Also ist er vielleicht schon gekommen, der vielgerühmte „Pilgerblues“.

Wie gesagt, von der Schönheit dieses Abschnittes bleibe ich für meine Verhältnisse eher mäßig berührt. Ein Maulwurf krabbelt mir über den Weg und verkriecht, vergräbt sich schnell. Das spricht mich an, da fühle ich mit.

Im Gehen meditiere ich über: Ich bin die ich bin die ich bin die ich bin die ich bin … und da entscheidet die Position des Kommas darüber, was es bedeutet. Unkomplizierter aber nicht weniger anspruchsvoll ist es da mit „Ich bin mein Atem“ zu gehen.

Still und einsam. Niemand am Weg

Irgendwann, nach gefühlten 40 km (statt 20) erreiche ich Altenberg und bin tief beeindruckt von der Größe und Strahlkraft dieses Doms mitten im Wald. Im Haus Altenberg, also dem ehemaligen Kloster, bekomme ich zum großen Glück noch ein Zimmer und schleppe mein heute leicht geschundenes Selbst hinauf in den ersten Stock.

Fazit: Was eine Dusche und ein abschließbares Zimmer doch unmittelbar für Wohlgefühle auslösen können. Und weit mehr als das: dieses Haus ist so einladend und angenehm, alle Mitarbeiter so freundlich. Im Speisesaal geht es fein her, hier sind Jugendgruppen neben Seniorenreisenden und Unternehmensgruppen. Irgendwo dazwischen das Tischschild: Pilger Frau Dannheim. Könnte gleich wieder heulen.

Thema: Ballast – auf allen Ebenen.

Tag 6: Pause – Mein „Monrepos“ in Altenberg

Nach einer ruhigen Nacht mit tröstlichem Mond im Fenster bin ich leider nicht so erholt, wie ich es mir erhofft habe und muss mir eingestehen, dass ich einfach noch nicht vollends fit bin. Wenn ich meinen Krankheitsverlauf der letzten 4 Monate berücksichtige, ist das auch kein Wunder. Also verlängere ich hier um einen Tag.

Und das stellt sich als Gewinn heraus auf ganzer Linie:

Klare und sehr ansprechende Architektur im Haus Altenberg

Beim gemütlichen und ausgiebigen Frühstück gesellt sich eine andere „Alleinsitzerin“ zu mir und wieder entspinnt sich ein spannendes Gespräch: Sie ist hier, um ihre Masterarbeit zum Thema „Rassismus in Schulbüchern“ konzentriert fertig zu schreiben. Wie großartig, dass dieses Haus Altenberg solch ein vielfältiges Angebot hat.

Ich lasse es wirklich ruhig angehen, freue mich, Zeit zum Schreiben des Blogartikels zu haben. Es hilft mir selbst ungemein, all diese Eindrücke, Einfälle, und Einbrüche durchs Schreiben oder im Schreiben zu sortieren, zu fixieren. Und wo könnte das besinnlicher und geschehen, als in dieser schönen Gegend.

Das war mein Ausblick beim Schreiben, als der erstaunlich stark stinkende Krähen-Schiss von oben kam.

Am Nachmittag gehe ich in den Dom zum kurzen Gebets-Gottesdienst. Eine willkommene stille Einkehr. Der Organist spielt erfreulich virtuos auf dieser Riesen-Orgel. Die fulminante Schallwelle strömt durch meinen Leib, durch meine Zellen.

Erst jetzt fällt mir ein, dass ich hier in diesem Dom schon mal während einer Hochzeit gesungen habe. Ungute Erinnerungen kommen hoch: ich war damals sehr knapp angekommen und leicht gehetzt (wie so oft – ergänze ich mir jetzt im Geist) und irgendwie nicht wirklich dabei. Das stimmt mich heute nachdenklich.

Zum Glück holt der Organist nochmal zum feurigen Nachspiel aus. Es tut so gut, die Musik einfach nur zu genießen, statt direkt in den inneren Abgleich zu gehen: müsste ich, sollte ich, könnte ich …

Den Dom teilt sich die evangelische Gemeinde mit der katholischen. Sehr gutes Vorbild!

Ein sehr schöner und bedeutsamer Tag neigt sich dem Ende. Ich werde Bruder Dirks Rat ernstlich befolgen und ab und an einen Ruhetag einlegen.

Fazit: Ich entscheide, wie weit ich gehe – so oder so.

NOTA BENE: Mache Dinge kommen anders, als gedacht, aber alles gehört zum Weg, ist Teil der Medizin. Mülleinsammeln lässt sich zum Beispiel nicht, wie angedacht, umsetzen. Das Bücken mit dem großen Rucksack macht nicht so viel Spaß.
Sehr viel Spaß hingegen macht das Entdecken meiner Lieblingsheilkräuter am Wegesrand. Jeden Tag begleiten mich 3-5 besonders intensiv. Ich hab sie fotografiert und notiert, wie genau ich es aufbereiten werd, wird der Weg zeigen.

Nun schließe ich für heute mit Hölderlin:

“So dächt‘ ich. Nächstens mehr.“

 

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